Stell Dir vor, Du fährst als Beifahrer*in mit einem sehr guten Freund mit. In einer 30er Zone fährt er zu schnell und verursacht einen Unfall mit einer Fußgängerin, die verletzt wird. Es gibt keine Zeugen. Sein Anwalt erzählt Euch später, dass Du Deinen Freund vor schwerwiegenden Konsequenzen schützen kannst, wenn Du unter Eid aussagen würdest, dass er nicht schneller als 30 km gefahren ist. Wie würdest Du vor Gericht damit umgehen? Würdest Du:
unter Eid bezeugen, dass er nicht schneller als 30 km gefahren ist, weil Du ihn in jedem Fall schützen willst? Oder
würdest Du versuchen, einen „Mittelweg“ zu finden? Oder
würdest Du in jedem Fall die Wahrheit sagen?
Hinter dieser Frage steht, ob Du eher aus einer Kultur stammst, die „Universalismus“ als hohen Wert ansetzt oder aus einer, wo „Partikularismus“ der Wertmaßstab ist. Universalistische Kulturen finden sich vor allem in der „Westlichen Welt“. Alle skandinavischen Länder, die USA oder Deutschland sind Beispiele hierfür. Regeln und Gesetze sind allgemeingültig. Egal, welchen Status jemand hat, gesetzliche Strafen sind für jedermann gleich und das wird als hoher Wert (als „gerecht“) angesehen. Einhaltung von Regeln wird gleichgesetzt mit Zuverlässigkeit. In Deutschland existieren neben Vorschriften, Gesetzen und Verordnungen auch zahlreiche Pflichten, Regeln und implizite Normen, wie: die Pflicht zur regelmäßigen Hausordnung, Regeln zur Müllentsorgung, Dienstreise-Anträge, Vorschriften hinsichtlich der Mittags- und Sonntagsruhe, etc. Die Einhaltung dieser Regelungen wird z. B. vom Vermieter, von Anwohnern, aber auch von unbeteiligten Personen „überwacht“. Wir warten z. B. an einer roten Ampel, auch wenn kein Auto kommt. Wenn jemand bei rot hinübergeht, weisen Manche die Person auf ihr Fehlverhalten hin. Oder: Im Berufsleben hat jeder Mitarbeiter seinen Zuständigkeits- und Kompetenzbereich. Bekommt man Anfragen außerhalb des Sachbereiches, verweist man auf entsprechende Kollegen. Für uns macht „Moral“ aus, zuverlässig zu sein, nicht zu lügen und niemanden zu schädigen. Die meisten von uns lehnen lügen prinzipiell ab oder haben zumindest ein schlechtes Gewissen, wenn wir es tun. Wir betrachten Kulturen, die das anders sehen, als nicht vertrauenswürdig, unzuverlässig oder sogar als korrupt, im Sinne von: „Wie kann man jemandem vertrauen, der sich nicht an die Gesetze und Regeln hält?“.
Menschen aus partikularen Kulturen stellen ihre Beziehungen über Regeln und Gesetze. Man sieht sich verpflichtet, Freunde und Verwandte zu beschützen, auch wenn das gegen die Regeln verstößt. Russland ist ein Beispiel für eine stark partikulare Kultur. Hier würde in dem oben beschriebenen Beispiel alles daran gesetzt werden, den Freund vor schwerwiegenden Konsequenzen zu schützen. Das gilt als moralisch. Russen empfinden gegenüber stark universalistischen Menschen: „Wie kann man jemandem vertrauen, wenn er nicht einmal, seine Liebsten schützt?“. China ist ebenfalls eine partikulare Kultur. Die Lehren von Konfuzius sind nach wie vor sehr relevant, danach ist es nicht möglich ein Volk mit festgeschriebenen Gesetzen zu beherrschen, denn es kommt nur auf die Moral und den Charakter des Herrschenden an. Daher haben in China Regeln keinen großen Status, sie werden entsprechend des Kontextes interpretiert und gegebenenfalls angepasst. Beziehungen zudem überaus wichtig. Geschäftsbeziehungen kann man in China kaum aufbauen, wenn man nicht jemanden kennt, der jemanden kennt.… Oder wenn man viel Zeit in den Aufbau eine guten Geschäftsbeziehung investiert.
Es gibt einen starken Zusammenhang mit der Dimension Individualismus – Kollektivismus (siehe der vorherige Artikel in diesem Blog). In der Regel sind universalistische Länder individualistisch und Sach-orientiert. Partikulare Kulturen sind meist kollektivistisch und Beziehungsorientiert. Eine Ausnahme bildet Japan (kollektivistisch, Beziehungsorientiert und universalistisch) oder Frankreich (individualistisch und partikular).
Die Dimension Universalismus / Partikularismus wurde von Trompenaars und Hamden-Turner identifiziert. Diese und sechs weitere Dimensionen entwickelten sie auf Grundlage eines Fragebogen, den sie in 40 Ländern unter 46.000 Managern verteilten. Dabei identifizierten sie die USA als eine besonders universalistisch ausgeprägte Kultur. Den meisten Amerikaner gilt ihre Form der Demokratie als die erstrebenswerteste. Sie sehen das universale Prinzip als Maßstab, was – unter anderem nach Meinung des derzeitigen Präsidenten – alle anderen Länder weltweit übernehmen sollten. Mit dieser ethnozentrischen Sichtweise macht sich Herr Trump diverse Feinde weltweit. Womöglich dreht sich die gesamte Globalisierungsdiskussion eigentlich um die Frage von Partikularismus und Universalismus.
Menschen mit universalistischer Sichtweise (wie gesagt, diese herrscht vor allem in der „Westlichen Welt“ vor), neigen zu einer herablassenden, besserwisserischen (und damit ethnozentrischen) Attitüde gegenüber Partikularismus. Amerikanern oder auch Deutschen wird häufig mangelnde kulturelle Sensibilität vorgeworfen. Viele der universalistischen Prinzipien haben in die weltweite Wirtschaftswelt Einzug gefunden.
Wenn man in einer universalistischen Kultur arbeitet, geht es um klare (meist schriftliche) Vereinbarungen. Bevorzugungen sind zu vermeiden und Verträge sollten klar definiert sein und eingehalten werden. Entscheidungen werden objektiv, aufgrund von Fakten getroffen.
In partikularen Kulturen ist der Handlungs- und Entscheidungsspielraum größer und flexibler. Verträge sind nicht starr und können modifiziert werden. Regeln können je nach Situation und Beziehung unterschiedlich sein. Der Aufbau von guten Beziehungen steht immer im Vordergrund.
Wie immer in meinen Beiträgen versuche ich, nicht zu (be)werten. Jeder Mensch ist in einer bestimmten Kultur (vielleicht auch in mehreren) sozialisiert worden und trägt die damit verbundenen Werte in sich. Uns Deutschen fällt es z.B. schwer, hier auf Mallorca zu akzeptieren, dass Jobs vorzugsweise innerhalb der Familie oder des Freundeskreises vergeben werden. Im Vergleich mit stark partikularen Kulturen wie der russischen ist die spanische jedoch bereits schon universalistisch. In den letzten Jahrzehnten hat sich die spanische Kultur immer mehr von einer partikularen hin zu einer universalistischen entwickelt, u.a. durch den Beitritt zur EU und damit einhergehender Vereinheitlichung der Gesetzgebung. Uns Deutschen mutet aber vieles nach wie vor wie Klüngel an…..