Kulturschock – Hier wie Zuhause
Es gibt wunderbare Theorien über Phasen des Ins-Ausland-Gehens. Insbesondere, als ich für den DED nach Honduras ging, hat mir das Wissen darum sehr geholfen. Heute beschäftige ich mich damit aus wissenschaftlicher Sicht, denn dieses Thema ist auch Teil meiner Lehrtätigkeit.
Eines dieser Modelle stammt von Kalvero Oberg, er hat bereits 1960 verschiedene Phasen des Kulturschocks beschrieben.
Euphoriephase: Man freut sich auf das Neue und reagiert euphorisiert und überschwänglich, weil man nur das (positiv) Erwartete wahrnimmt.
Missverständnisse: Man erkennt die Regeln der „fremden“ Kultur teilweise nicht und erzeugt Missverständnisse, weist sich aber als Neuankömmling die Schuld selbst zu.
Kollisionen: Die Ursachen der Missverständnisse bleiben einem verborgen. Im Gegensatz zur zweiten Phase weist man den Anderen die Schuld zu, man resigniert teilweise und neigt zu einer starken Aufwertung der eigenen Kultur.
Unterschiede werden akzeptiert und Widersprüche ausgehalten: Man bemüht sich um ein Verstehen der Kultur. Es ist zwar noch nicht alles „normal“, aber man versteht einiges.
Akkulturation: Man versteht die Unterschiede weitgehend und tendiert zur Übernahme von einigen Verhaltensmerkmalen. Nach und nach werden bei einem längeren Aufenthalt in der anderen Kultur deren Werte, Normen, Denkweisen etc. übernommen und als „eigene“ deklariert.
Sicherlich finden nicht alle Phasen bei allen Auswanderen statt und auch nicht in der angegebenen Reihenfolge. Sicherlich finden sich manche Menschen leichter zurecht in der für sie „fremden“ Kultur, manche werden vom Heimweh nach ihrer Heimat überrollt (dazu wunderbar: „Heimat“ von Anna Depenbusch), manch einer ist eh durch binationale Eltern in vielen Kulturen Zuhause… und dennoch sind an Modelle natürlich immer Dinge wahr und richtig.
In meinem Fall glaube ich, dass ich Schritt 2 und 3 ausgelassen habe, was aus meiner Sicht daran liegt, dass ich zum zweiten Mal nach Mallorca „ausgewandert“ bin. So war mir Vieles schon vertraut, viele Stereotype bekannt, mich überrascht es nicht mehr, wenn „die Mallorquiner“ manchmal abweisend und introvertiert sind, man also nicht schnell Kontakte knüpfen kann. Mir ist bewusst, dass es somit nicht „schlimm“ ist, Kontakte zu anderen Ausländern zu knüpfen und somit einen Teil von Integration zu verpassen– aber…. alleine und einsam möchte ich ja nicht hier sein.
Zu Phase 5 hatte ich letzte Nacht einen schönen Traum: Ich war mit meinem Freund in einem Kulturzentrum hier auf der Insel. Wir standen in einem Flur vor einem Raum, der in die Küche führte – groß, hell, gelb gestrichen, etwas altmodisch eingerichtet mit einem großen Tisch in der Mitte mit vielen Stühlen drumherum. Dort saßen einige Leute und schauten einem der Kellner zu, der laut singend und in sich selbst versunken, durch den Raum tanzte. Eine der Kellnerinnen fällt in seinen Gesang ein und ihm in den Arm, so dass sie gemeinsam tanzen. Ich drehe mich zu meinem Freund um und sage: „Das ist, warum ich es so liebe, hier zu leben“…
Der wahre Kulturschock ereilt Menschen aber oft erst, wenn sie wieder in die Heimat zurückkehren. Man hat sich verändert, einige Kulturmerkmale übernommen, die man gut findet und mittlerweile sogar als „normal“ empfindet. Die ursprünglichen alten deutschen Denkmuster sind zum Teil verloren gegangen oder vergessen worde. Die Konfrontation mit ihnen sorgt oft für einen größeren Kulturschock als der ursprünglich in der „Fremde“.
Gerade gestern habe ich mit einer Freundin telefoniert. Sie ist in einem Kulturschock, da sie nun wieder in Deutschland lebt. Als ich sie vor 20 Jahren kennenlernte, lebte sie hier auf Mallorca in Cala Ratjada, hatte gerade ihren späteren Mann kennengelernt, mit dem sie innerhalb von vier Jahren drei wunderbare Kinder produziert hat. Nach fünf Jahren Mallorca sind sie aufs Festland an die Costa Brava gezogen, weil ihnen Mallorca zu rummelig wurde. In Palamos haben sie dann weitere fünf Jahre gelebt in ihrem schönen Haus mit Blick aufs Meer. Da die Kinder zwar immer Deutsch sprachen, aber die Schriftsprache ein Problem wurde, ist die Familie nach Bremen gezogen. Da haben sie es aber nur 1,5 Jahre ausgehalten (zu kalter Winter) und sind dann nach Miami gezogen, da der Großteil von seiner kubanischer Familie dort lebt. Nach drei Jahren dort leben sie nun aber wieder in Deutschland. Der Grund: Miami war zu teuer und für die Kinder gibt es aus keine bessere Alternative als Deutschland, wenn sie studieren wollen. Qualitativ wie ökonomisch.
Ihr Kulturschock bezieht sich darauf, dass sie manche deutschen Denkmuster (Achtung Stereotype!) (wieder) übernimmt, wie z.B. die Sorge um eine ausreichende Rente. Sie sagt, darum hat sie sich jahrzehntelang keine Gedanken gemacht…. und sie sei froh, wenn ihr Mann bald wieder da ist, der eine andere Denkweise hat, damit sie nicht „zu deutsch“ würde.
Ich glaube ganz sicher, dass die beiden, wenn die Kinder aus dem Haus sind, wieder nach Spanien ziehen werden. Das Haus an der Costa Brava haben sie noch. Gestern am Telefon haben wir beide gesagt, dass es am allertollsten wäre, wenn sie auf Dauer wieder nach Mallorca zurückkehren würden. Zumal seine Mutter und ein Bruder mit Familie nach wie vor hier leben.