Ich sprach neulich lange mit einer Freundin über Neid. Insbesondere über „Neidkultur in Deutschland“. Ob es diese wirklich gibt? Wie wird Neid in anderen Kulturen wahrgenommen? Wie wird in diesen damit umgegangen? Diese Fragen hatten mich schon lange interessiert….
Ursprünglich bedeutete das Wort „Neid“ wohl Anstrengung, Eifer, Wetteifer, … verkörperte also durchaus positive Werte. Heutzutage definiert Wikipedia den Begriff Neid so: „Unter Neid versteht man das ethisch vorwerfbare, gefühlsmäßige (emotionale) Verübeln der Besserstellung konkreter Anderer“.
Neid wird häufig durch den Vergleich mit anderen ausgelöst und kann zu verschiedensten Handlungen führen. Manche:r reagiert aggressiv oder offen feindselig, manche:r lästert und andere ziehen sich zurück. Neid in christlich-katholischen Ländern gilt als eine der sieben Todsünden. Bis heute ist der Neid in den meisten westlichen Gesellschaften eine tabuisierte und stigmatisierte Emotion, und kaum jemand würde sich öffentlich dazu bekennen. Neid ist in erster Linie das Resultat eines sozialen Vergleichs. Warum speziell Deutschland aber als Neidkultur bezeichnet werden kann, hat meiner Meinung nach damit zu tun, welche Güter, Leistungen und Eigenschaften als erstrebenswert erachtet werden. Dies kommt z.B. in der vor einigen Jahren gezeigten Werbung (der Sparkasse?) sehr schön zum Ausdruck; „Mein Auto, mein Haus, mein Boot“.
In vorangegangenen Artikeln auf diesem Blog wurde schon häufig die Dimension „Maskulinität versus Feminität“ erläutert. Stark maskuline Kulturen wie die deutsche, sind von Konkurrenzgedanken, Leistungsstreben und Erfolgswillen, sowie damit verbundener Statussymbole assoziiert. Erfolg wird gerne durch ein dickes Auto vor der Tür, ein großes Haus, die Ferienwohnung auf Mallorca oder den Doktortitel vor dem Namen gezeigt. In Spanien ist das anders, speziell auf Mallorca. Hier sind beispielsweise viele der Häuser von außen sehr unscheinbar oder man fährt absichtlich ein kleineres Auto, als man sich leisten könnte, um keinen Neid zu schüren. Hier ist auch nicht die erste Frage, die man im Smalltalk stellt: „Was machst du beruflich?“, denn der soziale Vergleich interessiert hier nicht (so).
Für eine Studie von Allensbach und Ipos MORI wurden 2019 in vier Ländern jeweils 1.000 Personen nach Menschen befragt, die (Wohneigentum nicht mitgerechnet) mindestens eine Million Euro, Pfund bzw. Dollar besitzen. Und es kam heraus: „Die Mehrheit der Deutschen … hat ein extrem negatives Bild von „Reichen“, sehr viel negativer als Franzosen, Briten oder Amerikaner dies haben. Das liegt auch daran, dass verhältnismäßig wenige Deutsche einen Millionär kennen bzw. diese sich in Deutschland ungerne als solche outen – was man ihnen angesichts der bestehenden Vorurteile nicht übel nehmen kann. … nur 17 Prozent der Deutschen haben Kontakt zu wenigstens einem „geouteten“ Millionär. In anderen Ländern, insbesondere in Großbritannien (38 Prozent) und USA (43 Prozent), gibt es deutlich mehr Bürger, die einen reichen Mitbürger kennen“ (https://www.vgsd.de/jetzt-ist-es-amtlich-deutschland-hat-eine-neidkultur/ ). Wir Deutschen schreiben unseren wohlhabenden Mitbürgern (insbesondere wenn wir sie nicht kennen), eher negative Eigenschaften zu. Wenn man selbst „Reiche“ kennt, fällt das Urteil gnädiger aus. Der Autor der Studie ermittelte drei Faktoren, die signifikanten Einfluss auf die Höhe des Sozialneids haben: Neben der Frage, ob ein Millionär persönlich bekannt ist, hat auch die Schulbildung der Befragten Einfluss. Den mit Abstand stärksten Einfluss aber hat, ob ein „Nullsummendenken“ vorliegt. Damit ist ein Bild von der Wirtschaft gemeint, nach dem das, was der eine (der Reiche) gewinnt, dem anderen (dem Armen) fehlt. Von diesem Bild bin ich selber nicht ganz frei… Damit bin ich in breiter Gesellschaft: 50 Prozent der Deutschen geben Superreichen die Schuld an Finanz- und humanitären Krisen. Im Vergleich: 33 Prozent der Franzosen, 25 Prozent der Amerikaner und nur 21 Prozent der Briten tun dies.
Besonders unangenehm wird die deutsche Neidkultur dann, wenn aus Neid Schadenfreude entsteht. In vielen Sprachen gibt es kein direktes Wort für Schadenfreude. In manchen Kulturen wird sogar die „Freude am Leid des anderen“ abgelehnt. Die Psychologin Lea Boecker meint hingegen, dass Schadenfreude (auch) positive Aspekte habe: „Zumindest auf einer rein neuronalen Ebene sieht Schadenfreude tatsächlich aus nach purem Glück“, sagt Lea Boecker. „Man … konnte … interessanterweise zeigen, dass Schadenfreude im Gehirn genauso positiv ist wie Freude. Es hat wirklich diese Belohnungszentren im Gehirn aktiviert, die auch bei purer Freude oder bei anderen positiven Ereignissen sozusagen aktiviert werden“. (https://www.deutschlandfunkkultur.de/schadenfreude-die-rache-des-kleinen-mannes.976.de.html?dram:article_id=448899).
Neid ist ein „Nahweltphänomen“. Neidisch ist man vor allem auf Personen der näheren Umwelt. In den Sozialwissenschaften war Neid lange Zeit wenig untersucht. Vermutlich, weil es so schwer ist, Neid konkret zu fassen. Neid findet im Innern des Menschen statt und ist keine Basis-Emotion wie Furcht, Zorn, Freude, Traurigkeit, Akzeptanz, Ekel, Überraschung und Neugierde. Diese sind mehr oder weniger deutlich an der Mimik ablesbar und auch darstellbar (wobei diese kulturell teilweise unterschiedlich interpretiert werden, hier ein sehr interessantes Video: https://www.youtube.com/watch?v=JChxT9Yv2iw ). Neid lässt sich mit Mimik eigentlich nur mithilfe einer zweite Person darstellen. Neid ist eine universelle menschliche Emotion, die sich in fast allen bekannten Kulturen finden lässt. Dennoch wird Neid sehr unterschiedlich erlebt und kann zu gegensätzlichen Handlungstendenzen führen: in den USA fördert Neid (eher) die Leistungsbereitschaft und Wettbewerbsorientierung. Dahinter liegt sicherlich die US-amerikanische Lebenseinstellung, dass prinzipiell alle alles erreichen können („Vom Tellerwäscher zum Millionär“).
Das oben angesprochene Konkurrenzdenken bei maskulinen Kulturen fördert den sozialen Vergleich. Der ist die Grundlage für Neid, sagt Christian Scheve, Leiter der Projektes „Neid und Missgunst im interkulturellen Vergleich“ an der FU Berlin.
In „Eine Theorie des Neidens in der menschlichen Existenz“ von Helmut Schoeck, 1966, leitet so ein: „Man kennt rund 3000 unterscheidbare Kulturen, wobei es sich um kleine Stämme wie um komplexe Zivilisationen handelt. Die sozialen Auswirkungen des Neidgefühls und der Furcht vor ihm sind nicht annähernd in gleichem Maße bei den einzelnen Kulturen anzutreffen…“. Schoeck stellt zunächst einen positiven Aspekt von Neid heraus: Die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung, bzw. „An der wirtschaftlichen hemmenden Wirkung des Neidmotivs besteht wohl kein Zweifel: die … Kulturen in heutigen sogenannten Entwicklungsländern weisen eine Neidschranke auf“. Neid kann jedoch auch zwischenmenschliche Beziehungen vergiften und wird daher in manchen Kulturen tabuisiert.
In der Kultur Javas gilt neben der Aufrichtigkeit, dem Vermeiden von Konflikten und der Ächtung von Egoismus, dass der Erfolg anderer nicht beneidet werden darf, da ein erfolgreiches Leben letztendlich nur durch harte Arbeit und göttlichen Beistand erreicht werden könne. Diese Haltung wird u.a. damit erklärt, dass in der javanischen Kultur das Wohl der Gemeinschaft über das des Einzelnen gestellt wird. Die dahinter hinterliegende Dimension des „Individualismus versus Kollektivismus“ wurde hier schon vielfach vorgestellt. Gesellschaften, in denen Wir-Werte stärker vermittelt werden, kennen demnach weniger Neid. In der javanischen Gesellschaft ist die öffentliche Zurschaustellung der Herkunft, von Kompetenzen oder wirtschaftlichen Potenz tunlichst zu vermeiden. Stattdessen gibt es die Pflicht zu „Kompensationsleistungen“ des eigenen Erfolgs gegenüber der Gemeinschaft, diese äußert sich in finanziellen Zuwendungen auf familiärer, nachbarschaftlicher oder kollegialer Ebene (https://www.bpb.de/apuz/165755/von-der-neidkultur-zu-kulturen-des-neides?p=all ). Eine solche Kultur, die das Wohl und den Erfolg der Gemeinschaft über den des Einzelnen stellt und die von den Priviligierten erwartet, dass sie die Schwächeren unterstützt, wünsche ich mir für Deutschland. Dann hätte sich das mit der Neidkultur wohl bald erledigt.
Zum Abschluss sollen noch Neidvermeidungsstrategien vorgestellt werden. In seinem Buch „Neid als Faktor interaktiven Handelns“ fragt Ferdinand-Maximilian Schluessler Teilnehmer:innen eines Experiments: „Was kann man gegen Neid tun?“ Alle Befragten waren sich einig, dass Neid nicht zu vermeiden sei. „Aber man könne ihn in eine Form lenken, aus der Neid zu etwas Positivem werde, nämlich zu Ehrgeiz. Wenn der Neider einen positiven Ansporn entwickle, es dem Beneideten nachzutun, verliere Neid seine negative Konnotation. Wichtig sei das Vermitteln von christlichen, ethischen, moralischen und sozialen Werten schon durch das Elternhaus und die Vorbildfunktion von kirchlichen und teilweise auch staatlichen Organen, wie z.b. Lehrern. Menschen müssten lernen, den persönlichen Wert nicht über Besitz zu definieren. Über ein Drittel der Befragten nannte ein gesundes Selbstwertgefühl oder Selbstbewusstsein als wichtigen Faktor, den Vergleich mit Kollegen und Mitmenschen zu bestehen, dann werde man auch zu Gönnen vermögen. Es wurde darauf hingewiesen, das zur Neidvermeidung auch die Beschäftigung mit dem eigenen Neid gehört, man sollte sich demnach die Gründe und Ursachen des eigenen Neids überlegen. … Achtung, Demut, Demut, Wertschätzung und Mitgefühl als Werte vermitteln. Steigerung des Selbstwertgefühls (Erziehung / Elternhaus). Sich nicht ständig dem Vergleich aussetzen“.