Zeit – In welcher Zeitorientierung leben Sie?

Es gibt viele Gründe, auszuwandern. Einer ist, dass man sich in Deutschland nicht (mehr) Zuhause fühlt. Das kann daran liegen, dass man ein anderes Verständnis von Sicherheit, Freiheit und Unabhängigkeit hat als die meisten Deutschen.

Lebt man im Ausland, kann man endlich einmal ganz anders und ganz undeutsch sein können. In Deutschland ist das schwieriger. Da kann man schlechter aus seiner „Kulturhaut“ heraus und eckt schneller an. Hat man beispielsweise in Deutschland keine Hausrat-, Haftpflicht-, Lebens-, Berufsunfähigkeits-, Rechtsschutz- oder Krankenzusatzversicherung, wird man aus dem Freundeskreis ausgestossen – in Spanien hingegen ist man damit nur eine/r unter vielen: Verbeulte Autos sind die Regel und somit ist ein Blechschaden auch kein Grund, die Polizei zu rufen. Muss man zum Zahnarzt, sollte man einige Zeit vorher anfangen zu sparen. Kann man seinen Ursprungsberuf nicht mehr ausüben, macht man halt etwas anderes. Eine Freundin sagte so schön: „Natürlich ist das Leben so viel gefährlicher, aber ich bin freier. Das ganze Geld, was ich nicht für Versicherungen ausgebe, investiere ich in herrliche Hobbys und schöne Dinge. Denn ich weiß ja nicht einmal, wie lange ich lebe….“.

Dies ist ein in Studien (z.B. von dem Niederländer Geert Hofstede) erforschtes Phänomen: Die deutsche Kultur ist zukunftsorientiert, das heisst: In die Zukunft gerichtet. Das erklärt sich unter anderem klimatisch: Bei (in der Regel) nur einer Ernte im Jahr mussten sich die Menschen über Bevorratung Gedanken machen, um über den Winter zu kommen. Die heutige Ausprägung der Zukunfts-Orientierung ist die Weltmeisterschaft im Versicherungenabschließen. Aus dem Handelsblatt vom 19.4.2014: „Jeder Deutsche zahlt 2.219 Euro im Jahr für Versicherungen. Die Deutschen geben mehr für Versicherungen aus als der europäische Durchschnitt. Knapp die Hälfte ihrer Ausgaben fließt in die Altersvorsorge, ein Drittel in die Absicherung von Risiken und Unfällen“.

Anders als die Deutschen sind zum Beispiel Japaner, Inder, Russen, Iraner und Menschen viele Länder Asiens vergangenheitsorientierte Kulturen. Vergangenheitsorientierte Kulturen versuchen, die Vergangenheit zu bewahren und weiterzugeben. Traditionen und die Achtung der Vorfahren sind charakteristisch.

Und südeuropäische, lateinamerikanische und afrikanische Kulturen sind gegenwartsorientiert, sie leben im Hier und Jetzt. Mit einem deutschen Freund hatte ich gestern ein schönes Beispiel: Er sucht eine neue Wohnung und fand eine, die ihm mit 700 Euro/Monat zu teuer war. Er bot an, einen langfristigen Mietvertrag zu machen und eine Miete von 600,- Euro/Monat jeweils 3 Monate im voraus zu bezahlen. Der mallorquinische Vermieter fand das unattraktiv und vermietet lieber heute und jetzt für 700 Euro / Monat. Wer weiß schon, was in 3 Monaten ist??

Alle Zeitperspektiven können Vor- und Nachteile haben. Zukunftsorientierte Menschen sind in der Regel fleißiger, verdienen mehr und leben länger. Deshalb ist die deutsche Wirtschaft auch so erfolgreich. Aber diese Kulturen neigen dazu, ihr Umfeld zu vernachlässigen. Gegenwartsorientierte Menschen können hingegen sehr kreativ, spontan und risikofreudig sein. Unvorhergesehene Ereignisse haben jedoch oft verheerende Konsequenzen (damit erklärt sich zum Teil die hohe Zahl von säumigen Kreditnehmern hier in Spanien: Viele Menschen hatten seinerzeit (zu) hohe Kredite für Immobilien aufgenommen, die sie in der (unvorhergesehenen) Finanzkrise nicht mehr bedienen konnten). Vergangenheitsorientierte Menschen schaffen Stabilität, Geborgenheit und Vertrauen, indem sie Bräuche und Rituale pflegen. Allerdings sind sie oft neuerungsfeindlich oder nachtragend.

Wenn Sie sich also in Griechenland, Malawi oder Honduras angekommen und zuhause fühlen, kann es sein, dass Sie eine andere Zeitorientierung als die meisten Deutschen haben.…

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